5 Jahre Mariahilfer Straße: Als Wien das Flanieren lernte.

Im August 2015 wurde die Mariahilfer Straße fürs Flanieren geöffnet. Der Umbau dauerte etwa elf Monate. Petra Jens, Beauftragte für FußgängerInnen der Stadt Wien, blickt zurück: 

Meine Erleichterung war groß, als ich am Abend des 7. März 2014 das Ergebnis der Abstimmung erfuhr. Noch einmal sah ich mir das „Happy-Video“ an, nichts hätte in diesem Moment besser zu meiner Stimmung gepasst. Danach brachte ich meine Kinder ins Bett. Jetzt würden bald alle sehen, was so eine Straße bieten kann, wenn sie einmal so gestaltet ist, dass man sich dort gerne aufhält.

Knapp, aber doch, hatten die AnwohnerInnen für eine Umgestaltung der Mariahilfer Straße in eine Fußgänger- und Begegnungszone gestimmt.  Eine Straße, auf der man flanieren kann, das kam vielen einer Provokation gleich. Selten zuvor haben sich die WienerInnen über ein Verkehrsprojekt mehr aufgeregt. „Niemand wird in der Mitte der Straße gehen, da gibt es ja keine Auslagen!“, das hörte ich in zahlreichen Bürgergesprächen und Diskussionsrunden.

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Meine Kinder sind inzwischen zu Jugendlichen herangewachsen. Wenn sie „in die Stadt“ gehen, dann in die Mariahilfer Straße. Keine andere Geschäftsstraße kann sich aus ihrer Sicht mit dem Donauzentrum messen, dem beliebtesten Aufenthaltsort transdanubischer Jugendlicher.

Auch wenn wir es heute besser wissen und die Mariahilfer Straße beliebter und belebter ist als je zuvor – die Emotionen und Ängste vieler Menschen damals waren echt. Die Fronten verliefen nicht zwischen Menschen mit und Menschen ohne Auto. Sie verliefen nicht zwischen arm und reich und auch nicht zwischen Neubau und Mariahilf. Sie verliefen – das zeigen Umfragen – zwischen jung und alt. Man kann den Weg zur Umgestaltung dieser Einkaufsstraße auch als kollektiven Lernprozess beschreiben. Den größten Meinungswandel haben dabei Menschen im Alter ab 55 Jahren vollzogen. Für sie war es vor dem Umbau besonders schwierig, sich mit der Veränderung anzufreunden. Dass letztendlich im Sommer 2015, nach fertiger Umgestaltung, auch viele Ältere der Mariahilfer Straße etwas Positives abgewinnen konnten, muss man ihnen hoch anrechnen.
Evaluierung der Verkehrsberuhigung und des Umbaus der Inneren Mariahilfer Straße-zentrale Ergebnisse (SORA)

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Wir haben gelernt, dass sich die Welt weiter dreht, auch wenn eine Straße radikal neu gedacht, gestaltet und genutzt wird. Die Wienerinnen und Wiener haben seither ganz andere Herausforderungen gestemmt: Die große Fluchtbewegung 2015 und die Corona-Pandemie 2020 sind Ereignisse, dagegen scheint die Aufregung um die Mariahilfer Straßen aus heutiger Sicht geradezu niedlich. Niemand hat sich inzwischen die alte Verkehrsorganisation auf der Einkaufsstraße zurück gewünscht. Dafür gaben sich internationale Delegationen die Klinke in die Hand, um das Straßenwunder zu erforschen.

Petra Jens, Fußverkehrsbeauftragte der Stadt Wien und Park Won-soon, Bürgermeister von Seoul, Südkorea auf der Mariahilfer Straße.

Petra Jens, Fußverkehrsbeauftragte der Stadt Wien und Park Won-soon, ehem. Bürgermeister von Seoul, Südkorea auf der Mariahilfer Straße.

Der Mariahilfer Straße wachsen jetzt fußgängerfreundliche Äste in die umliegenden Grätzel. Der neu gestalteten Otto-Bauer-Gasse, Zieglergasse und Neubaugasse sollen demnächst Zollergasse und Nelkengasse folgen. Weitere Innenbezirke haben inzwischen mit Lange Gasse, Herrengasse und Rotenturmstraße neue, hochwertige Straßenräume erhalten. Und selbst die einst schärfste Gegnerin der neuen Mariahilfer Straße, die Wirtschaftskammer Wien, bescheinigt fußgängerfeundlichen Straßen inzwischen eine positive Wirkung auf Umsätze und Arbeitsplätze.

Langsam ist auch in den Außenbezirken nicht mehr undenkbar, was innerhalb des Gürtels gut funktioniert. Der Klimawandel und die zunehmende Hitze in der Stadt tragen das ihre dazu bei. Mit temporären Projekten wie den Coolen Straßen oder der Gürtelfrische West kann die Angst vor Veränderung ein wenig gelindert werden. Zum Beispiel beim Tanzen auf der Straße – wenn auch nicht mehr zum Lied „Happy“.