Was die Stadt am Laufen hält: Gedanken zum Internationalen Frauentag
Der Internationale Frauentag am 8. März zeigt auf, was im Alltag übersehen wird: zum Beispiel das Ausmaß unbezahlter Care-Arbeit und deren ungleiche Verteilung zwischen Männern und Frauen. Oder das Ignorieren weiblicher Lebensrealitäten in Forschung, Planung und Politik. Das betrifft auch die Mobilität. Männer fahren häufiger mit dem Auto, während für Frauen das Zu-Fuß-Gehen eine größere Rolle spielt. Weil die Verkehrsplanung aber von Männern dominiert wird, fließt deren Alltagserfahrung stärker in die Gestaltung von Straßenräumen ein, als jene von Frauen.
Wie sich das Zu-Fuß-Gehen in der Stadt anfühlt, wenn man nicht so flott unterwegs ist, wurde mir erst als junge Mutter so richtig bewusst. Zu Fuß unterwegs mit Kindern, den Kinderwagen im Slalom an Hindernissen vorbeilenkend, hochkonzentriert darauf achtend, dass keines der Kleinen Gefahr läuft, überfahren zu werden oder in Hundekot zu treten. Während neben mir Autos ungehindert vorbeibrausten.
Meine täglichen Wege im Wohnbezirk waren kurz und anstrengend. Hitze, Staub und Lärm, stressige Ampelkreuzungen und jede Menge Hindernisse am Gehsteig machten mir zu schaffen, obwohl viele Ziele des täglichen Bedarfs – etwa Supermarkt, Kindergarten, Spielplatz und Schule – eigentlich fußläufig erreichbar waren.
Tatsächlich sind die kleinräumigen, komplexen Alltagswege für Verkehrsplaner schwer zu fassen. Einfacher ist es, regelmäßige Arbeitswege zu kalkulieren und entsprechende Strukturen dafür bereit zu stellen. Zumal es für schnellere Verkehrsmittel auch explizite Budgets gibt – im Gegensatz zur Infrastruktur für den Fußverkehr.
Unsichtbare Daten
Schwer zu fassen ist das Zu-Fuß-Gehen auch wegen der Art der Datenerhebung. Zu-Fuß-Gehen ist in Verkehrserhebungen weitgehend unsichtbar. So werden in der Verkehrsstatistik (genannt „Modal Split“) ausschließlich „Hauptverkehrsmittel“ abgebildet, was bedeutet, dass Fußwege im Verlauf einer Wegekette keine Berücksichtigung finden. Geht man also, z.B. zur nächsten Busstation um mit dem Bus zum Einkaufen zu fahren, und geht dann von der Bushaltestelle zum nächsten Supermarkt, wird der Weg als Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gewertet. Zählte man alle Fußwege vor und nach einer Fahrt mit dem Öffentlichen Verkehrsmittel oder dem Auto mit, so läge der Fußwegeanteil in Wien nicht bei 37, sondern bei etwa 56 Prozent.
Gendergerechte Planungsansätze
Weltweit leisten Frauen den überwiegenden Teil der unbezahlten Versorgungs-Arbeit und auch deshalb gehen weltweit Frauen mehr zu Fuß, als Männer. Die Verkehrs-Infrastruktur für das Zu-Fuß-Gehen muss mit weniger Ressourcen auskommen, als alle anderen Verkehrsmodi. Das ist in Wien nicht anders. Über diese Zusammenhänge hat sich eine Gruppe von Verkehrsplanerinnen bereits seit Anfang der 90er Jahre in Wien Gedanken gemacht. Ihre frauengerechten (später gendergerechten) Planungsansätze gelten bis heute als Pionierarbeit.
Mit Pilotprojekten und Planungshandbüchern lenkten sie den Blick der PlanerInnen auf die Qualitäten von Gehwegen und öffentlichen Aufenthaltsräumen. Das generierte Wissen ist mittlerweile Teil der Planungspraxis. Daraus resultierten beispielsweise Sozialraumanalysen, eine Methode, die bei größeren Projekten angewandt wird. Und die längst nicht nur die Bedürfnisse von Frauen, sondern jene verschiedenster Nutzergruppen berücksichtigen.
Seither wurde viel Wissen generiert – etwa über die Beschaffenheit von Sitzgelegenheiten oder die räumliche Anordnung von Stadtmobiliar, so dass sich die Menschen im öffentlichen Raum auch sicher fühlen. Bei Umfragen zeigt sich, dass Frauen häufiger nach Begrünung und Baumpflanzungen verlangen – was durch die Klimaerhitzung eine zusätzliche Bedeutung erlangt.
Mittlerweile sind meine Kinder groß. Heute Früh kam ich an einem Kindergarten vorbei. Zwei junge Väter hielten sich gegenseitig die Tür auf. Vielleicht sitzen sie am Nachmittag mit ihren Kindern am nahe gelegenen Spielplatz und machen danach noch einen Einkauf für das Abendessen. Wenn sie dann auf verkehrsberuhigten Straßen nach Hause gehen oder radeln, so werden auch sie von der weiblichen Perspektive der Verkehrsplanung profitiert haben.
Denn schließlich verbessert eine gleichberechtigte Gesellschaft auch das Leben der Männer. Und daran erinnert uns der internationale Frauentag jedes Jahr aufs Neue.
Für diesen Text wurden folgende Quellen herangezogen:
Wir müssen das Dorf zurück in die Stadt Bringen. Die Zeit. 2021
Vorreiter Wien. „Eine frauengerechte Stadt ist gut für alle.“ VCD-Magazin 1/2021
Invisible Women/Unsichtbare Frauen. Caroline Criado-Perez, 2019
Zu Fuß gehen in Wien. MA18 2015