„Ich hab Hummeln im Hintern“ – Judith, 30 Jahre
Freundinnen und Freunde zum Spaziergang zu treffen, war für die 30-jährige Judith auch schon vor der Corona-Pandemie eine willkommene Freizeitbeschäftigung. Derzeit ist die Event-Planerin in Karenz und verbringt mit ihrer kleinen Tochter fast jede freie Minute draußen.
Wann hast du begonnen, deine Wege zu Fuß zurückzulegen?
Ich habe Hummeln im Hintern, das war schon immer der Fall. Und meine kleine Tochter ist jetzt noch mehr Grund für Bewegung draußen. Wenn sie schlafen möchte, gehe ich mit ihr draußen spazieren. Für mich bedeutet das eine Stunde Ruhe. Ich genieße es einfach, wenn sie im Buggy schläft und ich eine Stunde durchgehen kann.
Allerdings geht sie jetzt auch schon selbst. Und stoppt bei jedem Stein und jedem Blatt. Da dauert ein Weg gleich viel länger.
Was war der ausschlaggebende Grund, dass du begonnen hast, mehr zu gehen?
Ich hatte mit 23 Jahren eine beidseitige Lungenembolie. Danach durfte ich eine Zeit lang keinen Sport machen und war auch schnell außer Atem. Damals habe ich begonnen, sehr viel zu gehen. Als Alternative zum Sport. Und seitdem mache ich das wahrscheinlich nochmal mehr.
Wie viel gehst du?
Mittlerweile pendle ich mich zwischen 20.000 und 30.000 Schritten am Tag ein. Ich trage meine Uhr zum Schritte zählen auch beim Laufen und Springschnur springen. Dadurch kommen dann auch schneller Schritte zusammen.
Wie schaut ein Tag mit 20.000 bis 30.000 Schritten bei dir aus?
Tagwache ist durch meine kleine Frühaufsteherin zwischen 4 und 5 Uhr. Zuerst mache ich Sport und, wenn meine Tochter nochmals schläft, gehe ich mit ihr nach draußen. Am Nachmittag sind wir dann nochmals auf dem Spielplatz. Unser Tagesablauf ist schon sehr strukturiert. Wir schauen aber, dass wir immer genug Bewegung haben.
Was unterscheidet für dich Gehen von anderen Fortbewegungsarten?
Man ist meistens gleich schnell. [lacht] Außerdem ist es in der U-Bahn meistens heiß – egal ob Sommer oder Winter ist. Und wenn ich zuerst auf die U-Bahn warten muss und danach wieder von dort weitergehe, bin ich meist schneller, wenn ich gleich direkt gerade durchsteche. Für weitere Strecken fahre ich schon mit den Öffis oder dem Auto, aber seltener.
Für mich ist das Zu-Fuß-Gehen auch nochmals eine Art des Abschaltens. Ich entspanne dabei. Außerdem ist Spazieren auch ein bisschen ein Runterkommen, ein bisschen ein Gedanken kreisen lassen oder bietet Gelegenheit dabei in Ruhe zu telefonieren.
Bist du beim Gehen in Gedanken versunken oder auf deine Umgebung konzentriert?
Mal so, mal so. Kommt immer darauf an, was gerade im Kopf vorgeht und ob ich die Kleine vor mir habe. Mit Kind meide ich meistens Gassen, in denen Lärm ist, damit sie nicht aufwacht, außerdem achte ich darauf, wo ich überhaupt fahren kann. Wir sind eben erst umgezogen und dort im Viertel sind die ganzen Gehsteigkanten meistens sehr hoch. Das ist sehr wenig kinderwagenfreundlich. Ich muss jedes Mal schauen, wie ich runterkomme, ohne dass die Kleine im Kinderwagen runterkracht. Aber in dem Viertel entstehen jetzt so viele neue Wohnungen, dass das sowieso adaptiert werden muss.
Was ist für dich das Schöne am Gehen?
Dass ich selbst bestimmen kann, wohin ich wie gehe. Ich habe schon vor Corona begonnen, mich mit Freundinnen und Freunden nicht in einem Café drinnen zu treffen, sondern wir nehmen uns einen Kaffee mit und gehen spazieren. Da sind viel mehr Eindrücke und viel mehr Gesprächsthemen, die auf einmal aufpoppen, als wenn ich in einem Lokal sitze.
Wie haben deine Freundinnen und Freunde reagiert?
Solange es nicht regnet: gern. Wobei mir Regen auch nichts ausmacht. Solange die Ausrüstung passt, ist es mir egal, welches Wetter ist.
Gibt es einen Ort in Wien, wo du gerne hingehst?
Ich bin gern im Prater. Als ich noch in der Nähe vom Stadtpark gewohnt habe, bin ich auch gern dorthin oder in die Innenstadt gegangen. Vor allem am Sonntag in der Früh, wenn noch nichts los ist. Das ist herrlich. Der Prater ist sowieso immer schön, außer er ist überfüllt. Aber auch dort gibt’s Wege, die nicht so voll sind.
Aber ich fahre nicht irgendwo hin, um spazieren zu gehen, sondern ich gehe einfach von zuhause los. Je nachdem wie viel Zeit ich habe, komme ich weiter oder weniger weit. Wien ist einfach eine schöne Stadt. Gerade in der Früh, früher war ich in der Innenstadt auch laufen, das ist es einfach ein ganz anderer Flair.
Haben sich die Orte, wo du unterwegs bist, durch deine Tochter verändert?
Wir sind viel in Parks unterwegs. Meine Tochter liebt es gerade, sich auf kleine Stufen hinzusetzen oder diese rauf- und runterzugehen. Beim T-Mobile-Gebäude im 3. Bezirk gibt es ganz viele Stufen, die sind bei ihr heiß begehrt. Oder auch auf der Landstraßer Hauptstraße gibt es ganz viele Vorsprünge, wo sie sich einfach hinsetzt und von Schaufenster zu Schaufenster geht, quasi. Das ist recht amüsant, aber man kommt halt nicht so schnell voran.
Bist du meistens in Begleitung (mit FreundInnen, mit deiner Tochter) unterwegs?
Bei größeren Wanderungen schon. In Wien bin ich früher auch viel allein spazieren gegangen, auch in meiner Single-Zeit. Das war mir immer recht egal, Hauptsache ich kann mich bewegen.
Ich bin auch in die Arbeit immer zu Fuß gegangen, das war ein Weg von einer Stunde aus dem 3. in den 9. Bezirk. Zu Fuß hin, zu Fuß zurück. Davor war ich meistens auch noch laufen, weil mir der Ausgleich immer schon wichtig war. Den ganzen Tag im Büro zu sitzen, macht mich unruhig. Durch meine Lungenembolie hat sich der Bewegungsdrang auch nochmal manifestiert. Und es tut ja nicht weh.
Wie hast du entschieden, dass du deinen Arbeitsweg zu Fuß zurücklegst?
Ich war immer Frühaufsteherin und mein Arbeitsweg über den Ring war ein schöner – quasi eine Sightseeing-Tour. Wenn ich auf die Straßenbahn warten musste und die dann vielleicht durch Stau oder Unfall noch verspätet war, dann hätte ich mit den Öffis vielleicht 20 Minuten kürzer gebraucht. Und das ist mir schon egal, da gehe ich lieber zu Fuß, habe meine Ruhe und komme entspannt an.
Hat das Gehen noch eine andere Bedeutung für dich?
Wenn ich schnell gehe, ist es auch ein kleines Auspowern, das wieder gut tut und angenehm ist. Es ist natürlich auch ein ans Ziel kommen. Und es ist auch ein Entdecken, wenn man ein bisschen nach oben schaut und sich die Häuser ansieht. Man sieht zum Beispiel, was das für Bauten sind und was da versteckt ist. So ein alter Seilzug im 1. Bezirk zum Beispiel. Der 1. Bezirk hat sowieso arge Häuser und so viele Kleinigkeiten zum Entdecken.
Schön! Dann sind wir bei meiner letzten Frage. Stell dir vor, du triffst eine Person, die sagt, dass sie mehr gehen will, und dich um Tipps bittet. Was empfiehlst du ihr?
Tu’s einfach! Mir fällt’s leicht, aber ich kenne das von meinem Vater, dass viele auch einen kleinen Schweinehund überwinden müssen. Daher am besten zuerst im Grätzl gehen, da hat man keinen Aufwand und kann immer zurückgehen, wenn man nicht mehr mag. Das ist einfacher, als wenn man irgendwo hinfährt und damit schon einen Zeitaufwand für die Anreise hat. Ich glaube, die Zeit spielt für viele Menschen eine große Rolle. Einfach gehen, entdecken und schauen, was einem gut tut beim Spazieren. Sei’s entspannen, beobachten, Musik hören oder telefonieren. Ich glaube, das muss jede und jeder für sich selbst herausfinden.