Gender Planning für eine Stadt für Frauen?

Männer sind häufiger als Frauen mit dem Auto unterwegs. Daher profitieren sie stärker von autozentrierten Städten. Mit Gender Planning gibt es einen Ansatz, der die Bedürfnisse von Frauen an gebauten Raum berücksichtigt. Wir haben mit der Gender-Planning-Expertin Sabina Riss unter anderem darüber gesprochen, welche Auswirkungen die vielfältigere Mobilität von Frauen auf die Stadtplanung hat.

Sabina Riss ist Architektin und Architekturwissenschaftlerin. Sie unterrichtet an der TU Wien und setzt sich mit Diversität, Gendergerechtigkeit sowie Frauengerechtigkeit in der Planung der gebauten Umwelt auseinander.

Vor einigen Tagen erschien in der Tageszeitung Der Standard ein Artikel mit der Überschrift „Sind Städte für Männer gebaut?„. Wenn wir darauf ganz allgemein Bezug nehmen: Ist Wien ein Ort für Frauen oder ein Ort für Männer?

Das ist zu pauschalisierend ausgedrückt. Man sieht das auch in den Kommentaren zu diesem Artikel. Sehr viele geben im Standard-Forum an, dass diese streng geschlechterspezifische Sichtweise nicht mehr zeitgemäß ist, weil die Realität eine viel diversere ist. Aber solange Frauen immer noch mehrheitlich mit Care Arbeit befasst sind, also den Großteil der Verantwortung für Hausarbeit und Familienarbeit übernehmen (müssen), ist es wichtig, diese Bedürfnisse zu berücksichtigen. Und in Wien wurde schon viel zu diesem Thema berücksichtigt.

Portrait von Sabina Riss

Sabina Riss (© Luzia Puiu)

Vielfältige Wegeketten durch Betreuungspflichten

Was sind das für konkrete Punkte, die es im Zusammenhang mit der Care Arbeit zu berücksichtigen gilt?

In der gendersensiblen Planung geht es darum, verschiedene Zielgruppen und Benutzer:innengruppen zu definieren und deren Bedürfnisse zu berücksichtigten. Zum Beispiel sind das Personen mit Care Verantwortung – das können natürlich auch Männer sein. Aber Österreich ist in der Hinsicht konservativ, es ist also mehrheitlich in Frauenhänden. Gendersensibles Planen berücksichtigt diese Alltage von Frauen, die berufstätig sind, Familie haben und sich vielleicht um ältere Verwandte kümmern. Deren Alltage sind stark geprägt von unterschiedlichen Wegeketten zwischen Bildungseinrichtung, Arbeitsplatz, Supermarkt, Ärzten und Verwandten. Und diese Wege sollten dann idealerweise kurz sein, zu Fuß oder mit dem Rad oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln abwickelbar, und dementsprechend auch sicher und barrierefrei sein. Also eine Stadt der kurzen Wege oder die 15-Minuten-Stadt, wie sie jetzt ja auch genannt wird.

Das betrifft natürlich nicht nur die Mobilität, sondern generell die Stadtplanung. Bei der Planung von neuen Stadtteilen wird zum Beispiel berücksichtigt, dass die Nahversorgung und soziale Infrastruktur also Schulen, Kindergärten sowie auch Freibereiche wie Parks möglichst gut fußläufig und mit Rad erreichbar oder auch an den öffentlichen Verkehrsmitteln gelegen sind.

Frau mit Kinderwagen und Kleinkind am Gehsteig

© Stephan Doleschal

Sie haben jetzt mit Fokus auf Care Arbeit gesprochen, aber es gibt natürlich auch Frauen, die keine Kinder betreuen. Gibt es hier auch Aspekte, die im Gender Planning relevant sind?

Betrachten wir es nach Altersgruppen. Schon bei Kindern ist ein sicherer Stadtraum sowie erleichterte oder sichere Mobilität wichtig. Das sind Aspekte wie: Wie leicht kann ich eine Straße überqueren oder wie gut kann man auf die andere Straßenseite sehen? Die Autos werden ja immer höher, das erschwert es für Kinder, die andere Straßenseite zu sehen. Das ist natürlich nicht genderspezifisch, aber was in diesem Alter eine Rolle spielt, sind die Parks. Eva Kail hat schon vor Jahrzehnten untersucht, dass Mädchen ab dem Alter, wo sie alleine unterwegs sind, nicht mehr so viel in die Parks gehen wie davor, weil sie sich dort nicht sicher fühlen oder weil die Jungs dominantere Raumeinnahmen tätigen. Und dann ist es auch eine Frage der zunehmenden Sicherheit mit der Adoleszenz. Also Sicherheit wird dann immer mehr ein Thema.

Bei der älteren Generation weiß man aus Statistiken, dass es eher Frauen sind, die dann alleine leben und sich alleine versorgen. In Bezug auf die Mobilität ist es relevant, wie gut die Barrierefreiheit an Gehsteigkanten ist oder wie leicht die Straße zu überqueren ist, aber auch wie nahe ist das nächste Geschäft oder der nächste Park.

Sie haben nun einen Bezug zum Alter gemacht. Ist Gender Planning ein intersektionaler Ansatz, also berücksichtigt es auch andere marginalisierte Gruppen? 

Der Ansatz Gender Planning ist schon 20 Jahre alt. Und jetzt in den letzten Jahren wird klar, dass es noch mehr marginalisierte Zielgruppen in dem Bereich gibt. Hier muss Gender Planning erst aufholen, diese Bedürfnisse erheben und dann auch umsetzen. Bisher ging es um frauenspezifische Bedürfnisse, was man auch in den Gender Planning Leitfäden sieht. Diese schlüsseln Altersgruppen und Frauenthemen sehr gut auf. Der aktuellste Gender Planning Leitfaden ist der GenderKompass Planung von Lares. Er ist letztes Jahr in der Schweiz erschienen und berücksichtigt die intersektionale Sichtweise.

Zwei Personen, davon eine im Rollstuhl, gehen über die Donauplatte

© Christina Steininger

Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum

Ich würde gerne auf einen anderen Aspekt bei Gender Planning zu sprechen kommen, den des sicheren Raums. Vor einigen Wochen hat das Bundesministerium für Inneres ein Merkblatt mit Tipps zum Weltfrauentag veröffentlicht, in dem Frauen empfohlen wird, sich selbstbewusst zu bewegen, dunkle Wege zu meiden oder bei einem schlechten Gefühl die Straßenseite zu wechseln. Es wurde im Sinne einer Täter-Opfer-Umkehr stark kritisiert und soll jetzt auch überarbeitet werden. Welche Zugänge gibt es denn in der Stadtplanung, die subjektive Sicherheit zu erhöhen, ohne Handlungsanweisungen an Frauen zu geben?

Idealerweise sind Gebäude und Straßenräume so aufeinander zu beziehen, dass soziale Kontrolle möglich ist. Zum einen gilt es belebte Erdgeschosszonen schaffen, das Vermeiden von schlecht einsichtigen Bereichen und zum anderen Aufenthaltsräume von Wohnungen und Büros auf  die Straße zu orientieren. Dieser visuelle Bezug und mögliche Beobachtung erhöhen die Sicherheit. Natürlich ist auch eine gute Beleuchtung elementar. Wien hat hier einem guten Standard.

Auf einer baulich räumlichen Ebene kann gendersensible Stadtplanung viel zur Sicherheit beitragen, aber keine komplette Kontrolle und Schutz bieten. Modelle, die auf einer anderen Ebene wirksam sind, ist zum Beispiel das Heimwegtelefon in Deutschland. Wenn man in der Nacht allein unterwegs ist, kann man anrufen und sich telefonisch begleiten lassen.

Kommen wir nochmals auf junge Frauen und Mädchen zurück. Sie haben vorhin schon eine spezielle Parkgestaltung für Mädchen erwähnt. Können Sie noch ein bisschen genauer ausführen, was hier für Schritte gesetzt werden?

Auch das hat sich in den letzten 20 Jahren verändert. Damals hat man bei der Parknutzung von Mädchen festgestellt, dass sie sich ebendort nicht mehr so viel aufhalten, weil sich die Burschen mehr Räume nehmen oder mehr Bewegungsspielarten machen. Da hat man analysiert: Jungs spielen eher wilde Spiele, Bewegungsspiele, Ballspiele. Mädchen brauchen eher Rückzugsräume. Heute heißt es aber auch: Die Mädchen wollen gern Basketball und Volleyball spielen. Also Mädchen brauchen nicht mehr nur ruhige Ecken, sondern Mädchen wollen sich auch bewegen oder wo auftreten, ihren eigenen Raum haben um sich zu zeigen. Die Mädchenbühne am neu gestalteten Reumannplatz berücksichtigt das beispielsweise.

Abspielen

Das heißt, auch in den Parks werden die Bedürfnisse über die Jahre diverser und weniger geschlechtsspezifisch zuschreibbar. Daher ist es generell wichtig, diese BenutzerInnen Bedürfnisse immer wieder neu aufzurollen und abzufragen. Begonnen hat dies zum Beispiel Eva Kail 1991 mit der Umfrage „Wem gehört der öffentliche Raum? Frauenalltag in der Stadt“ in Wien. Idealerweise bezieht die Stadtplanung konstant Nutzer:innen ein und erhebt aktuelle und spezifische Bedürfnisse.

Wie ist das in der Praxis?

Es gibt natürlich den Wiener Gleichstellungsmonitor, in dem auch alle paar Jahre vielfältige Aspekte rund um Stadtplanung, öffentlicher Raum und Wohnen erhoben werden. Unter anderem wird die Parknutzung und das Sicherheitsgefühl in Parks erhoben. Hier könnte allerdings noch detaillierter gefragt werden. Der Gleichstellungsmonitor betrachtet auch, wer in der Planung beteiligt ist.

Niedriger Frauenanteil unter Planer:innen

Wer plant denn in Wien?

In der Ausbildung von Planungsprofessionen liegt der Frauenanteil bei 55%. Aber im weiteren Karriereverlauf ist eindeutig feststellbar, dass sich der Frauenanteil aus verschiedenen Gründen reduziert. Das ist natürlich in anderen Branchen auch so, aber in der Planungsbranche ist es noch höher als anderswo, weil es sich um ein männerdominiertes Umfeld und aufgrund hohen Zeiteinsatzes nicht sehr familienkompatible Branche handelt. In der Stadtverwaltung und den Magistraten ist der Frauenanteil zwar höher als in der freien Wirtschaft, aber trotzdem sind die Entscheidungspositionen sicher nicht 50:50 aufgeteilt. Und letztlich geht’s ja darum, wer entscheidet über die Planung. Obwohl viele Frauen als Mitarbeiterinnen tätig sind, sind die nach außen auftretenden und die entscheidenden Personen immer noch eher Männer.

Ausstellung "Frauen bauen Stadt"

Sabina Riss war auch bei der Gestaltung der Ausstellung „Frauen bauen Stadt“ in der Seestadt Aspern beteiligt (© IBA Wien/Luiza Puiu)

Inwiefern ist der deutschsprachige Raum repräsentativ für andere Länder? Oder gibt es Länder, wo ganz viele Frauen planen?

Weltweit beträgt unter selbstständigen Planer:innen der Frauenanteil ungefähr 20%. In Österreich sind es 11%. Aber es gibt ein paar europäische Länder – Schweden zum Beispiel -, die einen höheren Frauenanteil unter den selbstständigen Planer:innen haben. Das hat auch mit den Rahmenbedingungen zu tun. Österreich hatte lange einen strengen Zugang zur selbstständigen Planungsprofession verbunden mit hohen Berufsmitgliedskosten. Aber natürlich spielt auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine Rolle, die in anderen Ländern einfacher ist.