Markus wurde beim Gehen von seinem Pseudonym eingeholt
Markus ist seit vielen Jahren leidenschaftlicher Zu-Fuß-Geher und Fotograf. Unter seinem Pseudonym Sven Fargo findet man seine Fotos von unterwegs online. Der studierte Modedesigner (Vivienne Westwood/Helmut Lang/Jean Charles de Castelbajac) arbeitet freiberuflich als Produktdesigner in der Getränkeindustrie und hat schon ganz Wien zu Fuß erkundet.
Du hast uns bereits im Vorfeld verraten, dass du seit 2013 alles zu Fuß gehst. Was war der Auslöser damals? Und wie hat das Gehen dein Leben seither verändert?
Der Auslöser ist eigentlich ein simpler Grund. 2013 habe ich als Hardcore-Raucher mein Laster abgelegt und seitdem gehe ich. Das Gehen war dann plötzlich da und eine willkommene Ablenkung. Zur Arbeit, von der Arbeit nach Hause, bald kreuz und quer durch die Stadt. Ein Paar Schuhe pro Quartal mussten fortan daran glauben.
Nicht nur durch die Rauchentwöhnung sondern durch das Gehen zu jeder Zeit und der entschleunigten Fortbewegung, ist man mit einem Mal ein anderer Mensch. Die Sinne erneuern sich, die Blickwinkel und Sichtweisen. Die Details, die Ausschnitte, das Licht, alles fühlt sich neu und ungewohnt an. Die Urbanität und ihre Anziehungskraft sind spürbar. Das Fotografieren unterstützt mich dabei einen Fokus zu finden. Gehen und Fotografieren befinden sich dann in einer Art Balance. Wenn ich unterwegs bin, zieht und rüttelt nichts an mir: Es ist die Ausgeglichenheit, der ich bedingungslos folge. Das entschleunigende Gehen und der daraus resultierende freie Kopf erfasst Momente, Blickwinkel und auch Objekte, die ich sonst überlaufen würde.
Mein Pseudonym, das ich schon seit Jahren benütze, ist anscheinend zu einem Teil meines Ichs geworden. Sven Far-go! Die englischen Begriffe weit und gehen stecken darin. Als ob ich von meinem anderen Ich eingeholt wurde.
Außerdem hast du schon gesagt, dass du pro Jahr 4.000 km oder mehr zu Fuß zurücklegst. Das sind im Schnitt rund 80 km pro Woche. Wie sieht eine durchschnittliche Woche bei dir aus?
Für normal sind das die Wege ins Büro oder zu Kund*innen, die ich zu Fuß gehe. Durch meine Arbeit kann ich Termine so legen, dass ich zeitgerecht losgehen kann. Ins Büro von Meidling nach Gersthof und zurück versuche ich immer wieder verschiedene Wege zu gehen und so kommen hier 12-18 km pro Tag zusammen. Seit der Pandemie bin ich vermehrt im Home-Office, und der Rhythmus ist dadurch etwas verändert. Da mache ich es auch mal vom Wetter abhängig, ob ich mich früh am Morgen oder spät am Abend auf den Weg mache. Die Kilometer sind dann in etwa dieselben, wobei ich die Wege und Länge nicht plane. Am Wochenende haben meine Freundin und ich eine Wandergemeinschaft ins Leben gerufen und organisieren jeden Sonntag Wanderungen rund um Wien. (20-30 km).
Was hast du in Wien schon alles zu Fuß gesehen?
Die geschützten Feldhamster am Meidlinger Friedhof. Von der Nordrandsiedlung über Aspern bis hin zur Seestadt. Das Mühlwasser, die Walulisobrücke am östlichen Ende der Stadt. Vom Verteilerkreis zum böhmischen Prater weiter zum Musterhauspark Oberlaa mit traumhaften Blick Richtung Zentralfriedhof und Schwechat. Den traumhaften Laaer Berg Kurpark. Die charmante alte Per-Albin-Hansson-Siedlung mit ihren wunderschönen Trauerweiden und dem idyllischen Liesingbach. Rothneusiedl mit all den endlosen Feldern dahinter. Die-Jochen-Rindt-Straße als Trennlinie zwischen Industrie und Wohngebiet. Von U-Bahn-Endstation zu Endstation. Eigentlich fehlen nur noch die Kleingartensiedlungen, die einem zumeist verwehrt bleiben, da sie abgesperrt sind.
Gab es ein Erlebnis zu Fuß, das dich besonders überrascht hat?
Ja, lustigerweise zweimal ein Friedhof, wenn man da von lustig sprechen kann. Zum einen, wie zuvor erwähnt, der Meidlinger Friedhof mit seinen Feldhamstern. Nichts ahnend an einem anscheinend sehr günstigen Herbsttag tummelten sich hunderte kugelartige, pelzige Tierchen auf dem Friedhof. Völlig überrascht, begeistert und etwas durch meine Ahnungslosigkeit irritiert, erfuhr ich während eines Telefonats „Ja klar, das sind die Meidlinger Feldhamster“.
Zum anderen der Biedermeierfriedhof St. Marx. Leider umschlungen vom Landstraßer Gürtel und der Südosttangente. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts fanden hier letzte Beerdigungen statt. Der durch die Zeit extrem verwilderte Friedhof mit all seinen alten kaum lesbaren Grabsteinen lässt hier eine sehr mystische, aber auch malerische Stimmung aufkommen und unterstreicht einmal mehr die Vergänglichkeit des Lebens. Dass hier Wolfgang Amadeus Mozart in einem einfachen Schachtgrab bestattet wurde, war mir bis dato nicht bekannt.
Was unterscheidet Zu-Fuß-Gehen für dich von anderen Arten der Fortbewegung?
Zu-Fuß-Gehen gibt mir die Möglichkeit mich zu „Reseten“. Themen, die mich beschäftigen, kann ich aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Das Gehen gibt einen gemächlichen Rhythmus vor, um meinen Gedanken den nötigen Freiraum zu spendieren. So können viele neue Ideen entstehen. Ohne spirituell zu werden, von A nach B gehen lässt den Geist „mitgehen“.
Du erreichst dein Ziel als Ganzes und es ermöglicht dir verschiedene Bereiche, sei es ein Meeting, ein Vorstellungsgespräch oder die Teilnahme an einem Workshop mit voller Kraft und Energie stärker/besser zu absolvieren. Ich versuche, wenn sich die Möglichkeit bietet, mit meinen Kund*innen einen „Kreativspaziergang“ zu arrangieren.
Um auf die Frage zurückzukommen, ich glaube, dass der Benefit, für einen selbst, Zu-Fuß-Gehen um einiges größer ist als der Zeitfaktor/ Zeitgewinn durch die Möglichkeiten von Fahrrad, Öffis oder dem Auto, vor allem im urbanen Bereich.
Auf welchen Strecken bist du am liebsten in Wien unterwegs und warum?
Am meisten im Moment in den Randbezirken wie Simmering, Floridsdorf, Donaustadt oder Liesing, da dort durch die Größe und oftmals durch aufgelassene Betriebe, abgerockte bis leerstehende Häuser und skurril gestaltete Gärten für mich noch wirklich viel zu entdecken ist. Eine Art Ästhetik der Vergänglichkeit. Strukturen, Farben und Materialien, die durch die Zeit, durch die Abnützung und durch die Vernachlässigung eine neue Betrachtungsweise verdienen. Auch die schnell wachsenden neuen Stadtteile, wie das Sonnwendviertel, die Seestadt oder die neuen Wohnviertel entlang der U6 sind spannende Begegnungen mit immer wieder neuen Überraschungsmomenten. Wien und seine unterschiedlichen Bezirke bieten eine Vielfalt an optischen Eindrücken; und das treibt mich voran, die Stadt zu entdecken.
Hast du einen Lieblingsort in der Stadt, zu dem du immer wieder gehst?
Der rote Berg ist einer von meinen vielen Lieblingsorten in Wien. Freunde von mir haben am Fuße des roten Berges einen Gemüsegarten gepachtet, wo an lauen Sommerabenden gerne bei gutem Wein viel gelacht und geplaudert wird.
Bitte vervollständige den Satz „Zu-Fuß-Gehen ist für mich …
eine Möglichkeit ausgeglichener durchs Leben zu gehen.“