Zu-Fuß-Gehen in der neuen Straßenverkehrsordnung: Eine StVO-Novelle für aktive Mobilität
Mit der 33. Novelle der Österreichischen Straßenverkehrsordnung (StVO) wird erstmals versucht, dem Zu-Fuß-Gehen mehr Bedeutung zu verleihen. Das neue Gesetz tritt ab Oktober 2022 in Kraft und enthält einige Neuerungen, die das Zu-Fuß-Gehen erleichtern.
Die Österreichische Straßenverkehrsordnung stammt aus dem Jahr 1960 – einer Zeit, in der die Motorisierung in Städten vorangetrieben wurde. Bis heute beinhaltet daher der Gesetzestext Vorschriften und Formulierungen, die Zu-Fuß-Gehende ignorieren oder als Störfaktor im Verkehrsgeschehen beschreiben. Daran wird sich nun einiges ändern. Wir haben uns die neue Textpassagen angesehen, Sie finden Sie im folgenden Artikel inklusive unserer Anmerkungen, Änderungen im Gesetzestext sind kursiv gesetzt.
Hier finden Sie den gesamten Gesetzestext der StVO-Novelle (parlament.gv.at).
§8. Fahrordnung auf Straßen mit besonderen Anlagen.
(4) Die Benützung von Gehsteigen, Gehwegen und Schutzinseln mit Fahrzeugen aller Art und die Benützung von Radfahranlagen mit Fahrzeugen, die keine Fahrräder sind, insbesondere mit Motorfahrrädern, ist verboten. Dieses Verbot gilt nicht
1. für das Überqueren von Gehsteigen, Gehwegen und Radfahranlagen mit Fahrzeugen auf den hierfür vorgesehenen Stellen, sofern Fußgänger und Radfahrer nicht gefährdet oder gehindert werden;
Anmerkung: Damit wird der mitunter gefährlichen Situation für Zu-Fuß-Gehende auf Gehsteigen mit Grundstücks- und Garagenausfahrten besser Rechnung getragen als bisher.
§17. Vorbeifahren.
(2) Der Lenker eines Fahrzeuges darf an einem in eine Haltestelle einfahrenden oder dort stehenden Schienenfahrzeug oder an einem Omnibus des Schienenersatzverkehrs oder des Kraftfahrlinienverkehrs auf der Seite, die für das Ein- oder Aussteigen bestimmt ist, nicht vorbeifahren. Der Lenker eines Fahrzeugs darf dann vorbeifahren, wenn alle Türen des öffentlichen Verkehrsmittels wieder geschlossen sind und er sich vergewissert hat, dass keine Personen mehr zum öffentlichen Verkehrsmittel zulaufen; dabei ist Schrittgeschwindigkeit einzuhalten und anzuhalten, wenn es die Sicherheit erfordert.
Anmerkung: Bisher war das Vorbeifahren in Schrittgeschwindigkeit sowohl an in der Haltestelle stehenden als auch dort einfahrenden öffentlichen Verkehrsmitteln gestattet. Mit der Änderung wird einer langjährigen Forderung von Behindertenorganisationen nachgekommen.
§21. Verminderung der Fahrgeschwindigkeit.
(3) Lenker von Kraftfahrzeugen mit einem höchst zulässigen Gesamtgewicht von über 3,5t haben innerhalb des Ortsgebietes beim Rechtsabbiegen mit Schrittgeschwindigkeit zu fahren, wenn mit geradeaus fahrendem Fahrradverkehr, in selber Fahrtrichtung rechts abbiegendem Fahrradverkehr oder im unmittelbaren Bereich des Einbiegens mit die Fahrbahn überquerendem Fußgängerverkehr zu rechnen ist.
Anmerkung: Diese Gesetzesänderung steht im Zusammenhang mit schweren Unfällen, bei denen der so genannte „Tote Winkel“ ausschlaggebend ist. Zuletzt kam es im Juli 2022 in Floridsdorf zu einem solchen tödlichen Abbiegeunfall. Gemeinden können darüber hinaus Rechtsabbiegeverbote für LKW > 7,5 t, welche über kein Assistenzsystem verfügen, erlassen (§43 (8)). Hier können Sie zum totem Winkel weiterlesen.
§23. Halten und Parken.
(1) Der Lenker hat das Fahrzeug zum Halten oder Parken unter Bedachtnahme auf die beste Ausnützung des vorhandenen Platzes so aufzustellen, dass kein Straßenbenützer gefährdet und kein Lenker eines anderen Fahrzeuges am Vorbeifahren oder am Wegfahren gehindert wird. Das Hineinragen von Teilen des aufgestellten Fahrzeuges auf Verkehrsflächen, die dem Fußgängerverkehr oder dem Fahrradverkehr vorbehalten sind, ist verboten. Ausgenommen davon ist im Falle von Verkehrsflächen des Fußgängerverkehrs ein Hineinragen in geringfügigem Ausmaß (z.B. Seitenspiegel, Stoßstange) sowie für Ladetätigkeiten bis zu 10 Minuten. In jedem Fall hat dabei der freibleibende Querschnitt mindestens 1,5 m zu betragen. Weiters hat auf Verkehrsflächen des Fußgängerverkehrs ein Querschnitt von mindestens 1,5 m in Fällen der Aufstellung oder Anbringung von Gegenständen und Einbauten freizubleiben; die Aufstellung von temporären Hindernissen wie Gerüsten oder Leitern zur Durchführung von Bau- oder Reparaturmaßnahmen ist zulässig.
Anmerkung: Allein die Länge dieses Zusatzes zeigt, wie wenig selbstverständlich in der Praxis das Freihalten von Gehsteigen durch parkende Fahrzeuge und Gegenstände aller Art ist. In Wien gilt eine Mindestbreite bei Gehsteigen von 2 m. Bei Schräg- und Senkrechtparkordnung ist diese auf 2,5 m erhöht.
§36. Zeichengebung.
(2) Die Armzeichen und Lichtzeichen sind von den Organen der Straßenaufsicht (Verkehrsposten), und zwar unter Bedachtnahme auf die jeweilige Verkehrslage und nach den Erfordernissen der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs sowie der Bedürfnisse von Fußgängern, nach kurzer Wartezeit und ohne Eile queren zu können, zu geben.
(3) Werden auf einer Straßenstelle die Lichtzeichen automatisch oder von Straßenbenützern ausgelöst, (Abs.2) so sind diese Vorrichtungen unter Bedachtnahme auf die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs sowie auf Bedürfnisse von Fußgängern, nach kurzer Wartezeit und ohne Eile queren zu können, so einzustellen, dass die Zeichenfolge den auf dieser Straßenstelle bestehenden Verkehrsverhältnissen entspricht.
§48. Anbringung der Straßenverkehrszeichen.
(5) Der Abstand zwischen dem unteren Rand eines Straßenverkehrszeichens und der Fahrbahn darf bei seitlicher Anbringung nicht weniger als 0,60 m und nur in Ausnahmefällen mehr als 2,50 m, bei Anbringung oberhalb der Fahrbahn nicht weniger als 4,50 m und nur in Ausnahmefällen oder bei Verwendung beleuchteter Straßenverkehrszeichen mehr als 5,50 m betragen, sofern sich aus den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes bei einzelnen Straßenverkehrszeichen nichts anderes ergibt; der Abstand zwischen dem unteren Rand eines Straßenverkehrszeichens und einer für den Fußgängerverkehr bestimmten Fläche darf bei Anbringung auf einer solchen Fläche nur in Ausnahmefällen weniger als 2,20 m betragen. Bei seitlicher Anbringung darf unter Berücksichtigung des fließenden und ruhenden Verkehrs der seitliche Abstand zwischen dem der Fahrbahn zunächst liegenden Rand eines Straßenverkehrszeichens und dem Fahrbahnrand im Ortsgebiet zwischen 0 m und nur im Ausnahmefall mehr als 2,50 m, auf Freilandstraßen und in Ausnahmefällen weniger als 30 cm und mehr als 2,50 m betragen.
Anmerkung: Diese Änderung bringt mehr Flexibilität beim Anbringen von Verkehrszeichen auf Gehsteigen und ermöglicht allenfalls mehr Platz für Zu-Fuß-Gehende. Die Möglichkeit, temporäre (nicht fix mit dem Untergrund verbundene) Verkehrszeichen statt auf dem Gehsteig auch in einer daneben befindlichen Parkspur unter zu bringen, wurde bereits mit der StVO-Novelle im Jahr 2017 erwirkt.
§53. Die Hinweiszeichen
(11a) Sackgasse mit Durchgehmöglichkeit
Dieses Zeichen zeigt an, dass die Durchfahrt durch eine Straße nicht möglich ist. Ein Durchgehen für Fußgänger ist möglich. Es kann der Anlage der Straße entsprechend angebracht werden.
Anmerkung: Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Sackgassen mitunter für den Rad- und Fußverkehr durchlässig sind, was für diese Verkehrsteilnehmenden eine relevante Information darstellt.
§76. Fußverkehr
(1) Fußgänger haben, auch wenn sie Kinderwagen oder Rollstühle schieben oder ziehen, auf Gehsteigen oder Gehwegen zu gehen, sofern dies zumutbar ist; beim Betreten der Fahrbahn ist auf den übrigen Verkehr achtzugeben. (…)
(4) An Stellen, wo der Verkehr weder durch Arm- noch durch Lichtzeichen geregelt wird, dürfen Fußgänger
a) die Fahrbahn unter Bedachtnahme auf das Verkehrsaufkommen auf geradem Weg überqueren. Dabei haben sie sich vor Betreten der Fahrbahn zu vergewissern, dass sie hiebei sich selbst oder andere Straßenbenützer nicht gefährden oder diese übermäßig behindern (…)
(5) Ist ein Schutzweg vorhanden oder nicht mehr als 25 m entfernt, ist dieser zum Überqueren der Fahrbahn zu benutzen; dies gilt nicht, wenn es die Verkehrslage zweifellos zulässt und der Fahrzeugverkehr nicht behindert wird.
Anmerkung: Der Titel des Paragraphen 76 lautete ursprünglich „Verhalten der Fußgänger“. Die Formulierung, eine Fahrbahn müsse „in angemessener Eile“ gequert werden, fällt mit der Novelle ebenso weg wie die Vorschrift, einen Schutzweg, der sich innerhalb von 25 m befindet, zwingend benützen zu müssen.
§76d. Schulstraße
(1) Die Behörde kann, wenn es der Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des Verkehrs, insbesondere des Fußgängerverkehrs, dient, durch Verordnung Straßenstellen oder Gebiete in der unmittelbaren Umgebung von Schulgebäuden, zu Schulstraßen erklären. Bei der Verordnung ist insbesondere auf Schultage sowie die Tageszeiten von Schulbeginn und Schulende Bedacht zu nehmen.
(2) In Schulstraßen ist der Fahrzeugverkehr verboten; ausgenommen davon ist der Fahrradverkehr. Krankentransporte, Schülertransporte gemäß § 106 Abs. 10 KFG, Fahrzeuge des Straßendienstes, der Müllabfuhr, des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Feuerwehr in Ausübung des Dienstes, Fahrzeuge des Öffentlichen Verkehrs, von Abschleppdiensten, der Pannenhilfe und Anrainer sind zum Zwecke des Zu-und Abfahrens ausgenommen. Die Behörde kann weitere Ausnahmen für Anrainerverkehre festlegen. Die Anbringung mechanischer Sperren durch von der Behörde ermächtigte Personen ist zulässig, sofern der erlaubte Fahrzeugverkehr dadurch nicht am Befahren gehindert wird. Den ermächtigten Personen ist von der Behörde eine Bestätigung über den Umfang der Ermächtigung auszustellen.
(3) In Schulstraßen ist das Gehen auf der Fahrbahn gestattet. Der erlaubte Fahrzeugverkehr darf aber nicht mutwillig behindert werden.
(4) Die Lenker von Fahrzeugen dürfen Fußgänger nicht behindern oder gefährden, haben von ortsgebundenen Gegenständen oder Einrichtungen einen der Verkehrssicherheit entsprechenden seitlichen Abstand einzuhalten und dürfen nur mit Schrittgeschwindigkeit fahren.
Anmerkung: Die Schulstraße hat das Ziel, den Kfz-Verkehr zu Schulbeginn zu reduzieren. Und sie ermutigt Eltern und Kinder dazu, zumindest eine Teilstrecke des Schulweges klimafreundlich und aktiv – mit dem Rad, dem Roller oder zu Fuß – zurückzulegen. In Schulstraßen gilt ein Fahrverbot für Pkw. In der Novelle der Straßenverkehrsordnung werden nun bundesweit einheitliche Regelungen festgelegt, die in der Schulstraße gelten. Begleitend wird ein neues, einheitliches Straßenschild eingeführt, das Schulstraßen künftig deutlich kennzeichnet.
Das Prinzip der Schulstraße ist in Wien bereits erprobt, allerdings mit strengeren Regelungen und einem strikten Fahrverbot ohne Ausnahmen.
Weiterlesen zur neuen Schulstraße bei klimaaktiv.at.