Die historische Brigittenau, neu interpretiert
Selten liegen Tradition und Moderne so nah beieinander wie in der Brigittenau. Geschichte und Geschichten begegnen einem hier auf Schritt und Tritt. Christine Dubravac-Widholm, Bezirksvorsteher-Stellvertreterin führte am 31. August das Geh-Café durch ihren Bezirk. Über 120 Besucherinnen und Besucher spazierten mit und staunten darüber, wie viel der 20. Bezirk zu bieten hat.
Das beliebte Geh-Café fand erstmals in der Brigittenau statt. „Aber bestimmt nicht zum letzten Mal“, versprach Brigitte Dubravec-Widholm. Die Bezirksvorsteher-Stellvertreterin führte beim gemeinsamen Spaziergang an Orte, an denen sich historische Ereignisse in der modernen Stadt wiederfinden.
Maria Restituta und der Millenium Tower
Es ist viel los auf dem Platz vorm Eingang zur U- und S-Bahn-Station Handelskai. Menschen beeilen sich zur U-Bahn oder zum Bus, kaufen beim Obststand ein oder flanieren mit Einkaufssackerln vorbei. Viele kennen den Platz. Doch hätten Sie gewusst, wie der Platz heißt und nach wer die Person war, nach der er benannt ist? Der Maria-Restituta-Platz gedenkt der Ordensschwester Maria Restituta. Die christliche Ordensschwester widersetzte sich während des Nazionalsozialismus den Machthabern und wurde 1943 hingerichtet. 1998 wurde die Märtyrerin selig gesprochen.
Hinter dem Platz ragt der Millenium Tower empor. Mit seinen 202 Metern und 50 Geschossen war der 1997 errichtete Turm lange Zeit das höchste Bürogebäude Wiens. Seit 2014 wird er vom 250 Meter hohen DC Tower überragt.
Name, U-Bahn-Station und auch Millenium Tower werden an dieser Stelle bleiben. Das Drumherum wird sich in den nächsten zweieinhalb Jahren aber verändern. Der Platz wird umgestaltet. Wir sind gespannt.
Integratives Lernen und Kino im Gemeindebau
Auf dem Weg zum Winarskyhof spaziert die Gruppe hinter einer Schule vorbei. Doch es ist nicht irgendeine Schule, sondern die ILB – Integrative Lernwerkstatt Brigittenau. Seit über 20 Jahren lernen hier 6 bis 16 Jahre alte Kinder und Jugendliche in Mehrstufenklassen „inklusiv, reformpädagogisch, ganztägig“.
Auch im Winarskyhof, einer Wohnhausanlage findet sich die Geh-Café-Gruppe hinter einer Schule wieder. Was heute Teil der Mittelschule Stromstraße war, war früher einmal das Winarskykino, das Brigittenauer Uraufführungskino.
Von der Entbindungsklinik zum Internat
Ein Gebäude mit Geschichte steht auch an der Ecke Stromstraße, Pasettistraße: das Internat Brigittenau. Wo jetzt Schüler und Schülerinnen beherbergt werden, war früher das Brigittaspital. In der Entbindungsklinik wurde u. a. im Jahr 1930 der Komponist Friedrich Gulda geboren. Auch eine Teilnehmerin des Geh-Cafés hat ihre ersten Atemzüge im Brigittaspital gemacht. Das Spital wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, später von den sowjetischen Besatzern beschlagnahmt und dann an die Stadt Wien übergeben. Im Jahr 1959 wurde es als „Erziehungsheim“ eröffnet. Und auch heute noch bietet es Kindern und Jugendlichen eine Zuhause weg von zu Hause.
Historische Adresse Meldemannstraße
Ein Zuhause für etwas ältere Semester ist das Seniorenschlössl Brigittenau „Wie daham“. An der Stelle des moderne Pflegeheims mit großer Parkanlage stand bis Anfang der 2000er Jahre das Männerwohnheim Meldemannstraße. Ab 1905 fanden im Obdachlosenasyl Männer eine Herberge. Der wohl berühmteste Bewohner der „Meldemannstraße“ war Adolf Hitler. Er wohnte zwischen 1910 und 1913 im Männerwohnheim, bevor er nach München übersiedelte. Ende 2003 wurde das Obdachlosenheim in der Meldemannstraße geschlossen, ein neues Heim in der Siemenstraße im 21. Bezirk wurde eröffnet.
Alle Kinder haben Rechte!
Bunt, blau und auffällig ist der Platz an der Wynarskistraße 12. Eines erkennt man gleich: er hat etwas mit Kindern zu tun. Der Platz ist nach der im Jahr 1990 erlassenen Kinderrechtskonvention der UN benannt. Das Denkmal am Platz wurde von Schülerinnen und Schülern der Europaschule Vorgartenstraße entworfen. Im Jahr 2020 wurde das Denkmal um das Kunstwerk im öffentlichen Raum „see – Platz der Kinderrechte“ der Künstlerinnen Christine und Irene Hohenbüchler ergänzt.
Wo früher „Fru Fru“ „gemacht“ wurde, „entstehen“ die Techniker:innen von morgen
30 Studiengänge, von Informatik, über Elektronik bis zu Maschinenbau und Wirtschaftsinformatik. Mit der FH Technikum beherbergt die Brigittenau Österreichs einzige rein technische Fachhochschule. Bevor die moderne Ausbildungsstätte hier gebaut wurde, hatte die NÖM – Niederösterreichische Molkerei hier ihren Sitz. Das zehnstöckige Verwaltungshochhaus der NÖM am Höchstädtplatz 5 war bis ca. 1998 eines der markantesten Gebäude im 20. Wiener Gemeindebezirk.
Kommunismus und Denkmalschutz
Gegenüber der FH Technikum befindet sich das „Globus-Gebäude“. Es war seit 1945 Sitz des Globus-Verlag des KPÖ. Bis 1993 entstand im kommunistischen Parteiverlag zum Beispiel die Tageszeitung „Volksstimme“. Das denkmalgeschütze Gebäude stand lange Zeit leer. Nun entstehen Pläne für die Zukunft. Der Bauträger des Baufeldes hinter dem Gebäude hat auch das „Globus“ gekauft. Es gibt Ideen es zukünftig für studentische Nutzung in Zusammenarbeit mit der FH zu verwenden.
Nach einem interessanten Spaziergang fand das Geh-Café ein gemütliches Ende bei Getränken und Snacks. Wir kommen gerne wieder in die Brigittenau!
Die genaue Route des Spaziergangs finden Sie hier: Geh-Café 2022: Die historische Brigittenau, neu interpretiert