Zu Fuß nach Venedig

ca. 02h 00m
5.2 km
Markuslöwe im Hauptbahnhof
Praterstern
Kinderwagentauglich
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Der Stadtspaziergang auf den Spuren Venedigs in Wien stammt aus Georg Renöckls Buch „Wien abseits der Pfade“ (Braumüller 2019).

Zwölf weitere Spazierrouten durch Wien, von einer Tour „durch die Häuser“ bis zum „Meidlinger Bassenahatsch“ finden Sie in Georg Renöckls „Wien abseits der Pfade“ (Braumüller 2019), erhältlich als Taschen- oder e-book direkt beim Verlag oder überall im Buchhandel.

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Vom Markuslöwen zu Vivaldis Grab

Einsam steht ein Markuslöwe in der Halle des Wiener Hauptbahnhofs. Er ist der letzte eines achtköpfigen steinernen Rudels, das einst auf dem Dach des alten Wiener Südbahnhofs postiert wurde. Von hier ging es seit Fertigstellung der Südbahnstrecke im Jahr 1857 nämlich ins damals noch österreichischen Venedig - nach wie vor eine der schönsten Zugfahrten, die man unternehmen kann. Doch es ist wie im alten Wienerlied „Mir is alles ans“ („Wer a Göd hot, konn ins Theater foan, und wer kans hot, mocht si z’Haus an Noan“): Auch wer zuhause bleiben muss, kann einiges erleben. Die Liebe der Wiener zu Italien im Allgemeinen und zu Venedig im Speziellen hat im Lauf der Jahrhunderte dazu geführt, dass man auch in Wien sehr viel Venezianischem begegnen kann, ohne dafür wegfahren zu müssen. Dieses Wiener Venedig soll bei der folgenden Spazierroute erwandert werden. Und da die alte Südbahn auch nach Triest führte, kommt auch die wichtigste Hafenstadt der Habsburgermonarchie dabei nicht zu kurz.

Der Start beim Markuslöwen ist herausfordernd: Der Bahnhof wurde nicht als Tor zur Stadt konzipiert, sondern als unterirdische Shoppingmall mit Bahnanschluss. Wer der abweisenden Oberflächengestaltung zum Trotz bei Tageslicht, zu Fuß und ohne Kaufzwang in die Stadt spazieren will, muss zunächst die vielspurige Asphaltwüste des Gürtels überqueren. Wie eine künstlerische Installation wirkt die Ansammlung von monströsen Entlüftungstürmen, an denen man dabei auf dem Weg zum Südtiroler Platz vorbeikommt. Dieser passt gut als erste Etappe unserer italienischen Reise. Im Zweiten Weltkrieg stark zerstört, präsentiert er sich heute als geschlossenes 1950er-Jahre-Ensemble, geschmückt von Fresken wackerer Tiroler. Was leider fehlt: ein großes Kaffee- oder Wirtshaus, wie man sie in den "gewachsenen" Bahnhofsvierteln anderer Großstädte im Regelfall vorfindet.
Besser wird es in der Favoritenstraße. Das freundliche Lokal „15 süße Minuten“ setzt auf abwechslungsreiche Frühstücke, Bio-Lebensmittel und eine österreichisch-italienisch-polnische Speisenauswahl. Die passt gar nicht schlecht in die Gegend, steht doch an einer Fassade bei der Kreuzung mit der Kolschitzkygasse eine Statue des aus Polen stammenden angeblichen Erfinders des Wiener Kaffeehauses. Die österreichisch-mediterrane Edelgreißlerei Opocensky, wieder ein paar Schritte weiter, würde auch in Italien gute Figur machen: Man kann hier vor Ort zu Mittag essen, aber auch einkaufen, zum Beispiel frische Ravioli oder gefüllte Gnocchi.

Nur wenige Schritte sind es zum riesigen Gebäudekomplex des Theresianums, auch dieses hat eine italienisch geprägte Geschichte: In der Barockzeit diente es als Witwensitz dreier Kaiserinnen – zwei von ihnen entstammten der im Herzogtum Mantua herrschenden Familie Gonzaga. Maria Theresia übergab das Schloss den Jesuiten, die es zur Eliteschule um- und ausbauten. Eine Gedenktafel erinnert an einen prominenten Absolventen: Richard Coudenhove-Kalergi, Sprössling einer altösterreichischen, das heißt internationalen Adelsfamilie mit Stammsitz in Böhmen, gründete angesichts der Gemetzel des Ersten Weltkriegs im Jahr 1922 die Paneuropa-Bewegung. Ihr visionäres Ziel: Die „Vereinigten Staaten von Europa“.

In der Favoritenstraße 8 steht der August-Bergmann-Hof, ein Gemeindebau aus den frühen 1980er-Jahren, an dessen Stelle einst das Johann-Strauß-Theater stand, eine bedeutende Operettenbühne, die später zum Kino umgebaut wurde. Während der sowjetischen Besatzung wurde das Haus unter dem an Mailand erinnernden Namen „Scala“ wieder zum Theater. 1956 wurde das letzte Stück in der Scala gegeben: Brechts Leben des Galilei, in dem der bemerkenswerte Satz fällt: „Der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein.“ Man war damals sehr weit von einem solchen entfernt, schloss das Theater und riss das geschichtsträchtige Gebäude dann auch gleich ab: Das sogenannte „Wiener Theatersterben“ hatte begonnen.

Eine kleine „Kaffeefabrik“ ein Haus weiter verströmt belebenden Kaffeeduft und damit zwangsläufig italienische Lebensfreude. Auch die Paulanerkirche mit ihrer heiteren Barockfassade könnte genauso gut in Italien stehen, die Pizzeria Riva gleich daneben sowieso. In Rainer Maria Rilkes Duineser Elegien steht der Satz: „Ein jeder Engel ist schrecklich.“ Wie zum Hohn stellte man aber den von den Staatsopern-Architekten Sicardsburg und van der Nüll entworfenen Schutzengelbrunnen ausgerechnet auf den Rilkeplatz. Die Erinnerung an den in Prag geborenen Dichter passt jedenfalls genau zur Reiseroute: Auf der Suche nach einem Ort zum Schreiben war Rilke in Duino bei Triest unterwegs, als er an einer Höhle vorbeikam und der Wind ihm den ersten Satz seiner Duineser Elegien zutrug.

Ein schickes Hotel mit dem Namen „Das Triest“ ist das bekannteste Haus am Platz. Einst war es eine Postkutschenstation der Linie Wien–Triest, freilich lange vor der Errichtung der Südbahn. Gerade eben hat hier zusätzlich zum vornehmen „Collio“ ein neues Restaurant eröffnet. Überhaupt scheint an Rilkes Platz Italien einfach in der Luft zu liegen: Ein Lokal namens „Teigware“ verkauft direkt am Platz Pasta zum Mitnehmen oder Vor-Ort-Konsumieren, und nur wenige Schritte in die Margaretenstraße hinein befindet sich mit „Crupi“ Wiens beste Adresse für sizilianische Orangen und feinstes Olivenöl.

Nächster Fixpunkt der venezianischen Route ist das 1818 vollendete TU-Gebäude am Karlsplatz, neben dessen Eingang eine weitere Gedenktafel hängt. Diese erinnert an das Grab eines der berühmtesten Venezianer aller Zeiten: Antonio Vivaldi. Einst befand sich an der Stelle der heutigen Universität der „Armensünder-Gottesacker“ des Wiener Bürgerspitals, und bekanntlich waren es ja wirtschaftliche Schwierigkeiten, die den Komponisten, dessen Popularität im Schwinden war, auf die Idee brachten, sein Glück in Wien zu versuchen. Er wollte bei Kaiser Karl VI. um Unterstützung ansuchen, doch dieser starb, ohne ihn empfangen zu haben. Nach zehn Monaten starb auch Vivaldi einsam und verarmt in der Fremde.

Von der Oper zum Praterstern

Durch eine schön renovierte Unterführung gelangt man vom Karlsplatz unter dem Ring hindurch zur Oper. Gleich dahinter, beim Café des Hotels Sacher, befindet sich noch eine zweite Gedenktafel für Antonio Vivaldi, der ganz in der Nähe seines künftigen Grabes gelebt hatte. Den Kärntner Ring entlang geht es nun in Richtung Donaukanal. Zwei Jahre lang, von 1917 bis 1919, trug dieser Abschnitt des Wiener Prachtboulevards einen italienischen Namen, nämlich „Kaiserin-Zita-Ring“. Zita Maria delle Grazie Adelgonda Micaela Raffaela Gabriella Giuseppina Antonia Luisa Agnese lautete der volle Name der letzten österreichischen Kaiserin, die aus dem Hause Bourbon-Parma stammte. Vielen Wienern galt die polyglotte Kaiserin, die deutsch genauso perfekt sprach wie italienisch und französisch, als „die Italienerin“ – was angesichts des Kriegseintritts des einstigen Verbündeten im Jahr 1915 nicht zu ihrer Beliebtheit beitrug.

„Ich bemerke, dass es seltsam schwierig ist, am Ring stehen zu bleiben, wird doch das Versprechen eines Augenblicks, in dem man alles zusammen in den Blick bekommt, immer wieder hinausgeschoben. Diese neue Straße ist nicht von einem einzigen Gebäude dominiert; es gibt kein Crescendo hin zu einem Palast oder einer Kathedrale, dafür aber einen fortwährenden triumphalen Zug von einem großen Aspekt der Zivilisation zum nächsten“, schreibt der niederländische Autor Edmund de Waal über die Ringstraße, „eine musikalische Suite von Gebäuden, die Pausen dazwischen sind Parks, die Betonungen Statuen.“ De Waal hat die Gabe, sich beim Spazieren in die Vergangenheit zu versetzen, was die heute so lärmige Straße in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt: „War man auf der Ringstraße unterwegs, hörte man immer irgendwo eine Musikkapelle spielen, das Getrappel marschierender Füße. Die k. u. k. Armee hatte ‚die schönsten Uniformen der Welt‘, und die Bühne war ihnen angemessen.“

An längst verblichenen k. u. k.-Glanz erinnert auch das Restaurant des Hotels „Grand Ferdinand“, das sich „Meissl & Schadn. Du glückliches Österreich“ nennt. Es hat sich auf Wiener Schnitzel spezialisiert, das hier mit der in Wien so gut wie unbekannten „Wiener Garnitur“ serviert wird: Kapern, Schalotten, Petersilie, Zitrone und ein Sardellenfilet. Die ungewohnt Beilage passt gut zur Geschichte des Wiener Lieblingsgerichts: Erfunden wurde es zumindest der Legende nach in Byzanz, wo man es in Blattgold statt Semmelbrösel hüllte, über Venedig und Mailand gelangte es nach Wien. Der Sardellenring erinnert an den Weg übers Meer, den das Rezept zurückgelegt hat – ob die Geschichte nun stimmt oder nicht.

Das Hotel Marriott und das Gartenbauhochhaus durchbrechen die Harmonie der Ringstraßenarchitektur. Vor allem das Hochhaus, in dessen Souterrain einer der schönsten Wiener Kinosäle untergebracht ist und für das in den 1950er-Jahren ein Ringstraßenpalais abgerissen wurde, löste heftige Kontroversen aus. Vorbei geht es am Lueger-Platz, wo das ehemalige Kriegsministerium mit seinem gewaltigen, wie ein schwarzgefiedertes Flugmonster vom Dach auf die Straße herabdrohenden Doppeladler in den Blick kommt. Das heute verschämt „Regierungsgebäude“ genannte, massige neobarocke Gebäude ist der letzte monumentale Bau der Ringstraße. Sein Architekt war Ludwig Baumann, den Thronfolger Franz Ferdinand – ein heftiger Gegner der Wiener Moderne – besonders schätzte. Seine ursprüngliche Funktion erfüllte das Kriegsministerium am Ring nur kurz: Es wurde 1913 bezogen, fünf Jahre und einen verlorenen Weltkrieg später war es schon wieder überflüssig.

Exakt gegenüber liegt die unmittelbar zuvor nach Plänen Otto Wagners errichtete Zentrale der Postsparkasse, eines der ersten Stahlbetongebäude Österreichs. Im hinteren Kassensaal ist ein kleines, sehenswertes Otto-Wagner-Museum untergebracht. Besonders interessant: Wagners Entwürfe für das k. u. k. Kriegsministerium, die im Wettbewerb scheiterten, doch im Vergleich zur neobarocken Kiste gegenüber ungleich eleganter ausgesehen hätten. Vor dieser steht heute noch ein Reiterstandbild des Feldmarschalls Radetzky, und auch dieser verweist auf Venedig, war er doch Generalgouverneur des lombardo-venezianischen Königreichs.

Die Aspernbrücke führt über den Donaukanal zur Praterstraße. Historisch gesehen ist diese eine nahtlose Fortsetzung des Bummels über die Ringstraße, bis zu deren Bau sie die breiteste und eleganteste Straße Wiens war, die die Innenstadt mit dem Prater verband. Es braucht einiges an Fantasie, um sich in der Praterstraße von heute die endlosen Kutschenkolonnen vorzustellen, die einst, Ausflugswetter vorausgesetzt, toute Vienne zum Sehen-und-gesehen-Werden ins ehemalige Jagdrevier brachten. Ein Fassadenfresko in der Zirkusgasse 11 führt die glanzvolle Vergangenheit vor Augen.

Nur wenige Schritte stadteinwärts, wo die Zirkusgasse in spitzem Winkel von der Praterstraße abzweigt, steht eine Nestroystatue auf einem hübschen dreieckigen Platz, auf dem sich an warmen Tagen der Gastgarten des freundlichen Lokals „Ramasuri“ ausbreitet. Einst stand die Statue auf dem Nestroyplatz vor einem der wichtigsten Theater der Stadt: Das Carltheater befand sich dort, wo heute der „Galaxy-Tower“ auftrumpft. Es war eine zentrale Spielstätte der Wiener Komödie des 19. Jahrhunderts, Ort zahlreicher Nestroy- und Raimund-Uraufführungen und hat seine Spuren auch in der Wiener Umgangssprache hinterlassen: „Sich einen Karl machen“ heißt so viel wie „sich amüsieren“ und geht auf das auf Komödien spezialisierte Haus an der Praterstraße zurück. Wie das Johann-Strauß-Theater in der Favoritenstraße überstand es die Abrisswelle der 1960er-Jahre nicht.

Schräg gegenüber befindet sich dafür wieder ein Theater, das jahrzehntelang aus der Wiener Theaterlandschaft verschwunden war und unversehens wieder auftauchte: das heutige Theater Nestroyhof Hamakom. Zwischen 1927 und 1938 diente es als Spielstätte der „Jüdischen Künstlerspiele“. Der Leiter der Truppe, Jakob Goldfließ, erklärte 1937: „Das jüdische Theater soll ein Spiegel des jüdischen Lebens unserer Zeit sein. Es soll durch künstlerische Leistungen Argumente der Gegner des Judentums entkräften und ihre Grausamkeiten aufzeigen.“ Die Nationalsozialisten schlossen die Spielstätte, die nach dem Zweiten Weltkrieg zum Kino, zur Werkstätte und schließlich zur Supermarktfiliale umgebaut wurde. Das vergessene Theater kam 2003 überraschend wieder zum Vorschein, als man bei Umbauarbeiten im Nestroyhof eine Zwischendecke entfernte.
Unmittelbar hinter dem Nestroyhof steht eine Säulengruppe in der Tempelgasse an der Stelle des einstigen Leopoldstädter Tempels. Neben einer Synagoge verwaltete die jüdische Gemeinde ein Kinderspital, ein Waisenhaus, eine Bibliothek, Wohnungen und eine Schule.
„Von 1858 bis 1938 war dies ein Ort voller Leben“, steht auf einer Tafel, die die Geschichte des Gebäudes erklärt. „Hier beteten, arbeiteten, studierten, feierten und wohnten Menschen, bis sie, gleichzeitig mit der Zerstörung des physischen Bauwerks und der Zerschlagung der Institutionen, aus der Gesellschaft gedrängt, entrechtet, beraubt, vertrieben, deportiert und ermordet wurden.“

In der Czerningasse erinnert eine Gedenktafel auf der rechten Straßenseite an Viktor Frankl, der bis zu seiner Deportation ins KZ in diesem Haus gelebt hatte. Gegenüber macht eine Autowerkstätte ausgerechnet Werbung für Vergaser. Ein praktischer Wegweiser, der ein Durchhaus anzeigt, führt durch die Czerninpassage zurück zur Praterstraße.

Das „Donauwalzerhaus“ ist die nächste Etappe, es befindet sich gleich rechts nach dem Ausgang der Passage. Auch die zum Museum eingerichtete Wohnung im ersten Stock, die der Komponist auf dem Höhepunkt seines Ruhmes in den 1860er- und 1870er-Jahren bewohnte, hat mehr mit Venedig zu tun, als man vermuten würde: Strauß schrieb hier, auf halber Strecke zwischen dem Donaukanal und dem Hauptarm des Stroms, den Donauwalzer. Dieser sollte die Wiener nach der bitteren Niederlage gegen die Preußen bei Königgrätz aufmuntern.
Österreich war außenpolitisch gedemütigt, im Inneren geschwächt - und musste obendrein Venedig, das es im Wiener Kongress zugesprochen bekommen hatte, an den gerade entstehenden italienischen Nationalstaat abgeben. Was kann einem Schlimmeres passieren, als Venedig zu verlieren?. In die allgemeine Tristesse hinein schrieb k. k. Hofballmusikdirektor Johann Strauß seinen Walzer, der ursprünglich gesungen wurde: „Wiener seid froh! – Oho, wieso? – No, so blickt nur um! – I bitt, warum? – Ein Schimmer des Lichts – Wir seh’n noch nichts!“, heißt es darin. Kein Wunder, dass der Donauwalzer bald als heimliche Hymne Österreichs oder zumindest Wiens galt.

Der Dogenhof, ein der Ca’ d’Oro nachempfundenes, 1897 erbautes Zinshaus, steht am Ende der Praterstraße. Er erinnert a „Venedig in Wien“, wie einer der ersten Themenparks der Welt hieß, der von 1895 bis 1901 auf dem Gebiet des heutigen Wurstelpraters stand: Ein künstliches Miniaturvenedig mit Wasserstraßen, Gondeln und Palazzi, das von den Wienern offenbar regelrecht gestürmt wurde – zumindest in den ersten Jahren. Das Wiener Venedig wurde aus wirtschaftlichen Gründen keine Dauereinrichtung. Im komplett umgekrempelten Café Dogenhof wird heute über einer offenen Feuerstelle gekocht, das „Supersense“, nur eine Tür weiter ist ein Tempel alles Analogen, mit Kaffeehaus, Druckerei, Foto- und Vinylstudio.

Der Praterstern ist ein ziemlich trauriger Anblick: Der Bahnhof Praterstern durchschneidet den sternförmigen Platz, klobige Nirosta-Gestelle, die zum Aufhängen von Werbeplakaten dienen, verstellen die Aussicht. Nur Admiral Tegetthoff steht unerschütterlich auf seiner Säule, aus der in antiker Tradition die Rammsporne feindlicher Schiffe ragen. Sehr viele Seehelden hat das österreichische kollektive Gedächtnis abgesehen von diesem hier nicht vorzuweisen. Dabei war Österreich eine nicht unbedeutende Seemacht, wenn auch eine eher zivile: Der in Triest beheimatete österreichische Lloyd stieg im 19. Jahrhundert zur größten Schifffahrtsgesellschaft des Mittelmeers auf, ein Hauch von großer weiter Welt wehte von Triest auch nach Wien herein. Nur die Seestreitmacht wurde die längste Zeit über vernachlässigt, was sich 1866 als schwerwiegendes Handicap herausstellte: Italien nützte den Preußisch-Österreichischen Krieg, um seinerseits Österreich den Krieg zu erklären, musste auf dem Land aber empfindliche Niederlagen einstecken. Daraufhin griff die überlegene italienische Marine die österreichische Insel Lissa an, das heute kroatische Vis. Es kam zu einer dramatischen Seeschlacht, der österreichische Konteradmiral Tegetthoff entschied sich dabei angesichts der technischen Unterlegenheit seiner Schiffe dazu, die Feinde kurzerhand zu rammen, und versenkte auf diese Weise drei italienische Schlachtschiffe. Den Rückzug der Italiener feierten die österreichischen Matrosen mit dem Ruf „Viva San Marco“ – sie waren nämlich in überwiegender Mehrzahl Venezianer. Wenig später mussten sie trotz ihres Sieges die Seiten wechseln, als Österreich das Kronland Venetien an das junge Königreich Italien abtrat.
Die Tour hat sich zur Süd-Nord-Durchquerung Wiens ausgewachsen: Begonnen beim Markuslöwen am Standort des ehemaligen Südbahnhofs hat sie uns nun in die Nähe des alten Nordbahnhofs geführt, der einmal der bedeutendste Bahnhof Mitteleuropas war und von Wien nach Prag führte. In den 1960er-Jahren entschied man sich, den prunkvollen, aber im Krieg beschädigten und überdies nutzlos gewordenen Bahnhof nicht zu restaurieren, sondern restlos abzureißen.

Ein Jammer, dafür sind wir nun endlich in Venedig angekommen, oder wenigstens ein bisschen: Venediger Au heißt nämlich der kleine Park oder die große Wiese, die sich hier erstreckt. Schon im 15. Jahrhundert nannte man die damalige Auenlandschaft wegen ihrer vielen lieblichen Flüsse und Kanäle nach der Lagunenstadt. Sie ist eben uralt und durch nichts zu erschüttern, die Liebe der Wiener zu Venedig.

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